Junge Frau sitzt auf der Couch und putzt sich die Nase. Auf ihrem Schoß steht ein Laptop.
  1. Kann der Arbeitgeber eine Online-Krankschreibung ablehnen?
  2. Ist die per Ferndiagnose festgestellte Arbeitsunfähigkeit legal und rechtsicher?
  3. Wie kann der Arbeitgeber die Krankschreibungen über Fragebogen, Fernbehandlung mit persönlichem Kontakt oder der Behandlung vor Ort unterscheiden?
  4. Gibt es arbeitsrechtliche Unterschiede zwischen einer privaten und einer kassenärztlichen Krankschreibung?
Junge Frau sitzt auf der Couch und putzt sich die Nase. Auf ihrem Schoß steht ein Laptop.

Isabell Flöter ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, Senior Associate bei KLIEMT. Arbeitsrecht in Berlin und beobachtet stetig die aktuellen Entwicklungen in ihrem Fachgebiet. Durch das wachsende Angebot und neue rechtliche Lockerungen müssen sich Arbeitgeber zunehmend mit Online-Krankschreibungen beschäftigen.

Kann der Arbeitgeber eine Online-Krankschreibung ablehnen?

Isabell Flöter: Da steht vorweg die Frage: Wie definiere ich „Online-Krankschreibung“? Es gab verschiedene Anbieter, wie z. B. au-schein.de, die damit geworben haben, eine Krankschreibung online gegen eine Gebühr auszustellen.

Per Online-Formular konnte man seine Symptome und die zur Genesung beanspruchten Krankheitstage angeben und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anfordern. Bei einer solchen rein online ausgestellten Krankschreibung, der keine ärztliche Untersuchung vorausging, würde ich sagen: Ja, diese dürfen ArbeitgeberInnen zurückweisen. Hier fehlt der Beweiswert, denn es kann angezweifelt werden, ob es sich um eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung handelt. Allerdings stellt sich in der Praxis das Problem, dass ArbeitgeberInnen häufig nicht bekannt ist, ob die Krankschreibung mittels Online-Fragebogen ausgestellt wurde oder eine ärztliche Untersuchung über persönlichen oder mittelbar persönlichen Kontakt stattgefunden hat. Der Untersuchungsweg kann anhand der äußeren Form der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht festgestellt werden.

Urteil des Arbeitsgerichts Berlin

Im April 2021 hat das Arbeitsgericht Berlin entschieden, dass die Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom Arbeitgeber abgelehnt werden darf.

Dabei handelte es sich um eine Online-Krankschreibung, die über den Anbieter au-schein.de ausgestellt wurde. Aufgrund fehlender Untersuchung und unzureichendem persönlichen Kontakt zwischen ÄrztInnen und PatientInnen war der Beweiswert hier nicht gegeben. Der Arbeitgeber konnte Entgeltfortzahlung einstellen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Fall ist beim Landesarbeitsgericht anhängig.

Im Falle des mittelbar persönlichen Kontakts gibt es viele Neuerungen, die den Kontakt über eine Videosprechstunde oder eine telefonische Fernbehandlung ermöglichen.

Isabell Flöter: Es handelt sich um eine relativ neue Entwicklung. Rechtsprechung zu der Frage, ob einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, der eine Video- oder Telefonsprechstunde vorausgegangen ist, derselbe Beweiswert zukommt wie bei einem physischen Patienten-Arzt-Kontakt vor Ort, fehlt bislang. Nach meiner persönlichen Auffassung dürfte der Beweiswert aber gegeben sein: ArbeitnehmerInnen können ihre in § 5 Absatz 1 Satz 2 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EntgFG) verankerte Nachweispflicht hiermit erbringen. Eine Konkretisierung erfolgt durch die Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie (AU-RL), die durch den Gemeinsamen Bundesausschuss herausgegeben wird. Dort sind derzeit die Fernbehandlungsmöglichkeiten über Videosprechstunde (§ 4 Absatz 5 AU-RL) und Telefon (§ 8 Absatz 1 AU-RL) gegeben.

Werden also einerseits die Untersuchungswege als zulässig eröffnet, wäre es wohl widersprüchlich, würde man auf der anderen Seite nur einen verminderten Beweiswert annehmen. ArbeitgeberInnen dürften mithin nach den aktuellen Vorgaben Schwierigkeiten haben in einem solchen Fall gegen die ArbeitnehmerInnen zu argumentieren, zumal die AU-RL den Anwendungsbereich der Ferndiagnosen klar beschränkt. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen per Telefonsprechstunde erfolgen nur bei Erkrankungen der oberen Atemwege (COVID-19-Symptome), die keine schwere Symptomatik vorweisen und werden maximal für die Dauer von sieben Tagen ausgestellt mit der Option auf einmalige Verlängerung. Auch nach ärztlicher Untersuchung im Wege der Videosprechstunde kann nur in den Fällen eine Krankschreibung ausgestellt werden, wenn die Erkrankung, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, einer Ferndiagnose zugänglich ist.

In der AU-RL und der Muster-Berufsordnung für Ärzte (MBO) wird der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt noch als Goldstandard angesehen. Doch durch die Lockerungen des Fernbehandlungsverbotes und neue Möglichkeiten der Ferndiagnose wird dies zunehmend aufgeweicht.

Wie kann der Arbeitgeber die Krankschreibungen über Fragebogen, Fernbehandlung mit persönlichem Kontakt oder der Behandlung vor Ort unterscheiden?

Isabell Flöter: Zunächst gar nicht. ArbeitgeberInnen müssen schon zufällig über den Behandlungsweg Kenntnis erlangen. Ein Indiz könnte allenfalls die Entfernung des Praxissitzes des ausstellenden Arztes oder der Ärztin vom Wohnort des Arbeitnehmenden sein. Letztlich wird es aber auch hier schwierig sein, zwischen Online-Krankschreibung per Fragebogen oder Krankschreibung per Fernsprechstunde zu unterscheiden. Man könnte höchstens überprüfen, ob der ausstellende Arzt oder die Ärztin bereits dafür bekannt ist, für Portale zu arbeiten, die per Fragebogen AU-Scheine aushändigen.

In der Praxis wird hier aber recht selten nachgeforscht, da der Arbeitsaufwand und die Kosten zu hoch sind. In Einzelfällen braucht es einen Verdachtstatbestand. In der Regel lebt ein Arbeitsverhältnis von gegenseitigem Vertrauen, sprich: Wenn sich ein Arbeitnehmender krankmeldet, ist er auch krank. In den meisten Fällen sind Arbeitgeber eher froh, dass sich die Mitarbeitenden ausruhen und genesen, um wieder vollständig einsatzbereit zu sein.

Verdachtsfälle lassen sich eher am Verhalten der Arbeitnehmenden, nicht in der Art der Krankschreibung, festmachen: wenn man sich beispielsweise immer kurz vor einem Feiertag, immer freitags, immer montags, an Brückentagen oder nach nicht-genehmigtem Urlaub krankschreiben lässt. Häufige, sehr kurze Krankschreibungen, von vielleicht nur einem Tag, können auch Indizien sein. Dies galt auch schon vor der Lockerung des Fernbehandlungsverbotes.

Gibt es arbeitsrechtliche Unterschiede zwischen einer privaten und einer kassenärztlichen Krankschreibung?

Isabell Flöter: Nein. Die Kriterien, die das Entgeltfortzahlungsgesetz an die Nachweispflicht und die Rechtsprechung an den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stellen, sind immer gleich: Ordnungsgemäß ausgestellt ist eine Krankschreibung, wenn ihr eine ärztliche Untersuchung vorausgegangen ist. Das gilt für PrivatärztInnen ebenso wie für kassenärztliche Behandelnde. Da kann man als Arbeitgeber keine Unterschiede machen. Das Gesetz unterscheidet an dieser Stelle nicht.

Quellen

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