Ein Rettungswagen steht vor einem Gebäude.
  1. Was sind in der heutigen Zeit die größten Herausforderungen der Notfallmedizin?
  2. Womit erklären Sie sich den Zuwachs an Rettungseinsätzen?
  3. Gibt es bereits telemedizinische Anwendungen, die in der Notfallmedizin erfolgreich genutzt werden?
  4. Könnten Sie sich selbst vorstellen, als Telenotarzt zu arbeiten?
  5. Welchen Problematiken der Notfallmedizin könnte man in Zukunft mit Telemedizin begegnen?
  6. Welches Potenzial hat die Telemedizin für die Notfallmedizin?
  7. Wo liegen die Grenzen der Telemedizin in der Notfallmedizin?
Ein Rettungswagen steht vor einem Gebäude.

Was sind in der heutigen Zeit die größten Herausforderungen der Notfallmedizin?

Dr. med. Annegret Wilke: Aus meiner Sicht ist eine der größten Herausforderungen der Notfallmedizin in der heutigen Zeit die erhebliche Steigerung der Einsatzzahlen. Zudem gibt es einen Personalmangel bei den Notärzten und beim Rettungsdienst – also eine hohe Arbeitsbelastung bei zu wenigen Fachkräften. Das Ziel muss daher sein, die Ressourcen, die vorliegen, zu schonen. Weiterhin ist eine Herausforderung der Notfallmedizin, neben der zeitlichen Komponente, die Kommunikation der einzelnen Gliedern der Rettungskette.

Womit erklären Sie sich den Zuwachs an Rettungseinsätzen?

Dr. med. Annegret Wilke: Das ist eine gute Frage. Auf der einen Seite ist der Zugang durch die 112 sehr niedrigschwellig. Das ist natürlich auch gut so, um schnelle Versorgung zu gewährleisten. Mit Blick auf die Ressourcen ist es jedoch nachteilig. Ich sehe vor allem Aufklärungsbedarf in den Versorgungsstufen. Wann darf man als Bürger oder Bürgerin die 112 wählen. Ab wann gelte ich als Notfall? Wann ist es besser den ärztlichen Bereitschaftsdienst (116 117) anzurufen, um kassenärztlich ambulant versorgt zu werden?

Gibt es bereits telemedizinische Anwendungen, die in der Notfallmedizin erfolgreich genutzt werden?

Dr. med. Annegret Wilke: Zum Beispiel ist seit 2014 ein Telenotarztdienst in den Regelrettungsdienst der Stadt Aachen und der prähospitalen Versorgung integriert. An die Leitstelle mit dem Telenotarzt-System in Aachen sind inzwischen 30 Rettungswagen in Nordrhein-Westfalen angeschlossen. Ich empfinde das als seine sehr gute Entwicklung. Ich bin selbst Notärztin in Leipzig und wir haben große Personalknappheit vor allem im notärztlichen Bereich. Der Telenotarztdienst stellt eine ergänzende Unterstützung im Regelrettungsdienst dar und kann Versorgungslücken schließen. Er kann zum Beispiel Rettungssanitäter in Entscheidungen unterstützen, diese ggf. treffen oder einen Notarzt fachlich beraten, ohne selbst vor Ort zu sein. Beispiele dafür sind eine Medikamentengabe durch Notfallsanitäter, die durch eine ärztliche Entscheidung autorisiert werden muss oder die Gabe von blutdrucksendenden Medikamenten bei hypertensiven Entgleisungen.

Könnten Sie sich selbst vorstellen, als Telenotarzt zu arbeiten?

Dr. med. Annegret Wilke: Grundsätzlich könnte ich mir das vorstellen. In Nordrhein-Westfalen muss dazu die zusätzliche Qualifikation “Telenotarzt” erworben werden. Voraussetzungen sind: mehrjährige Erfahrung als Notarzt, Erfahrungen mit Interhospitaltransporten und natürlich eine Anerkennung als Facharzt in einem Gebiet mit unmittelbarem Bezug zur klinischen und rettungsdienstlichen Notfall- und Intensivmedizin sowie der Zusatzweiterbildung Notfallmedizin.

Welchen Problematiken der Notfallmedizin könnte man in Zukunft mit Telemedizin begegnen?

Dr. med. Annegret Wilke: Der Telenotarztdienst stellt eine Ergänzung und Unterstützung im Regelrettungsdienst dar. Ein häufiges Einsatzgebiet sehe ich in der Konsultation der vor Ort agierenden Rettungskräfte, die Hilfe bei der Einschätzung der Patienten benötigen, Beratung hinsichtlich Diagnostik und Therapie brauchen und nicht sicher sind, ob ein Notarzt hinzugezogen werden soll. Häufig muss in Deutschland ein Notarzt ausrücken, nur um eine Medikamentengabe zu autorisieren. Dies kann ein Telenotarzt übernehmen und so einen diensthabenden Notarzt „freihalten“. Ein weiteres wichtiges Einsatzfeld sind Überbrückungen. Kommt es bei Einsätzen zu einer Verschlechterung des Zustands der Patienten und ist noch kein Notarzt vor Ort, kann der Telenotarzt das Team vor Ort unterstützen und beraten, solange der nachgeforderte Notarzt noch nicht da ist. Außerdem wird der Dienst genutzt, um sich bei einem Einsatz eine zweite ärztliche Meinung unter Kollegen einzuholen. Telenotärzte übernehmen auch sekundäre Aufgaben, wie die Beratung der Notfallleitstelle hinsichtlich medizinischer Fragen und koordinieren Sekundärtransporte. Dabei handelt es sich um eine Verlegung eines Patienten von einem Krankenhaus in ein anderes. Zum Beispiel, wenn ein Krankenhaus nicht die geeignete Fachrichtung für die Behandlung des Patienten hat und dieser in eine andere Klinik verlegt werden muss. Ein Sekundärtransport findet auch statt, wenn ein Krankenhaus keine Kapazitäten innerhalb der eigenen Intensivstation hat und der Patient deshalb auf eine Intensivstation eines anderen Krankenhauses verlegt werden muss. Hier kann der Telenotarzt entscheiden, in welches Krankenhaus der Patient verlegt wird und ob eine notärztliche Begleitung überhaupt notwendig ist.

Welches Potenzial hat die Telemedizin für die Notfallmedizin?

Dr. med. Annegret Wilke: Der Telenotarztdienst sollte dringend auch in andere Bundesländer ausgeweitet werden, in denen Versorgungslücken auftreten. Soweit ich weiß, laufen Planungen in fast allen Bundesländern. Telenotarztzentralen gibt es (nach meiner Recherche) bereits in Aachen, Kreis Euskirchen, Kreis Borken, Korbach, Kreis Heinsberg, Landkreise Vorpommern-Rügen und Vorpommern-Greifswald, Straubing und Gießen-Marburg.

Wo liegen die Grenzen der Telemedizin in der Notfallmedizin?

Dr. med. Annegret Wilke: Ich könnte mir vorstellen, dass die Befürchtung besteht, der Telenotarztdienst könnte den bodengebundenen Notarzt ablösen bzw. ersetzen und NEF-Standorte würden wegfallen. In den Modellregionen hat sich gezeigt, dass dem nicht so ist. Der Telenotarzt ersetzt nicht praktische und komplexe Tätigkeiten am Einsatzort. Eine weitere Hürde könnten die Kosten der Implementierung einer solchen Struktur sein. Die Bereitschaft muss auf Seiten der Bundesländer und der Region bestehen und eine Akzeptanz erlangen.

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