2011 war in Sachen sexuelle Gesundheit ein Meilenstein in Deutschland. Im Juli 2012 vermeldete das Robert Koch-Institut, dass die Zahl der gemeldeten HIV-Neuinfektionen im Jahr 2011 das erste Mal seit 2001 wieder gesunken ist. 2889 Menschen hatten sich neu infiziert - 1,7 % weniger als noch in 2010. Seitdem ist die Zahl stabil und sogar leicht rückläufig. Laut RKI gab es 2018 2.818 gemeldete HIV-Neuinfektionen. Ein Rückgang von 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Doch während HIV und Aids in Deutschland mittlerweile gut behandelbar sind und die Infektionsraten rückläufig, steigt die Zahl der Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten seit Jahren stark an. Ein im Juli 2019 veröffentlichter Bericht des Europäischen Zentrums für Krankheitsprävention und -kontrolle (ECDC) zeigte zum Beispiel, dass sich die Zahl der bestätigten Syphilis-Infektionen seit 2010 mehr als verdoppelt hat. Damit zählt Deutschland zu den Spitzenreitern in Europa. Die Prävalenz bei Chlamydien (die Krankheit ist nicht meldepflichtig) liegt laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (kurz = BZgA) bei 18- bis 19-Jährigen bereits bei 4,5 (Frauen) bis 4,9 (Männer) Prozent.
Eine Aufgabe der Schulbildung? Die wichtigsten Erkentnisse
Infografik Nr. 1: Sexualbildung an deutschen Schulen – Gesamtbewertung nach Bundesländern. Quelle: Fernarzt.com
Bereits im April 2016 hat die Bundesregierung die BIS 2030: Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen verabschiedet, in der als Maßnahme festgeschrieben wurde, die Schule in diese Aufklärung der STIs mehr einzubeziehen.
Das hat sich Fernarzt.com zum Anlass genommen, die aktuellen (Rahmen-) Lehrpläne der 16 Bundesländer mal genauer unter die Lupe zu nehmen. In einer eigenen Studie wurde ein Scoring-Modell entwickelt, das einen schnellen Überblick über den Umfang der aktuellen Lehrplanmodelle zum Thema STIs liefert.
Das Ergebnis fällt teils ernüchternd aus. Von ingesamt möglichen 13 Punkten erreichte das Saarland mit 9,5 Punkten den Höchststand. Gefolgt von Hessen und Sachsen mit jeweils 8 Punkten. Niedersachsen liegt mit nur 3 Punkten an letzter Stelle.
Infografik Nr. 2: Sexuell übertragbare Krankheiten (STIs) in Lehrplänen. Quelle: Fernarzt.com
Infografik Nr. 3: Sexuell übertragbare Krankheiten (STIs) in Lehrplänen, mit getrennter Bewertung. Quelle: Fernarzt.com
Umfang der Inhalte häufig mangelhaft
In gerade einmal sieben Bundesländern gibt es einen eigens für die Sexualbildung der Schülerinnen und Schüler vorgesehenen Rahmenlehrplan für die Sexualerziehung bzw. eine dementsprechende Richtlinie (s. Infografik Nr. 3). Hier wird ausführlich beschrieben, welche Inhalte bei der Sexualerziehung berücksichtigt werden sollen und auch wie die Sexualerziehung im Unterricht erfolgen sollte, vor allem vor dem Hintergrund des fächerübergreifenden Unterrichts und der Kompetenzentwicklung.
Leider werden diese nicht immer für den Unterricht herangezogen. Nur vier der Bundesländer erwähnen sie auch explizit in den Fachlehrplänen für Biologie oder Naturwissenschaften (s. Infografik Nr. 4).
Infografik Nr. 4: Sexualbildung an deutschen Schulen – Bewertung der inhaltlichen Aspekte in den Bundesländern. Quelle: Fernarzt.com
Fast alle Bundesländer hinken hinterher
Leider fällt auf, dass nicht nur die Lehrpläne der verschiedenen Fächer in den Bereichen Biologie oder Naturwissenschaften in Bezug auf sexuell übertragbare Krankheiten veraltet sind, sondern teilweise auch die Rahmenlehrpläne bzw. Richtlinien zur Sexualerziehung. Die von der Bundesregierung im April 2016 beschlossene Strategie BIS 2030* wurde bisher in keinem Lehrplan konkret berücksichtigt.
Lediglich in zwei Bundesländer wurde der Rahmenlehrplan entsprechend aktualisierten. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Fachlehrplänen für Biologie oder Naturwissenschaften. Nur Sachsen aktualisierte die Lehrpläne für jede Schulform dementsprechend. In Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, dem Saarland und NRW wurden die Lehrpläne einzelner Schulformen seither aktualisiert. Die anderen Bundesländer fallen bezüglich der Aktualität ihrer Lehrpläne durch.
Dass die Inhalte zur Sexualbildung teilweise deutlich veraltet sind, lässt sich beispielsweise an Schleswig-Holstein ableiten: Der älteste Erlass zur “Aids-Vorsorge bei Erste-Hilfe-Maßnahmen in den Schulen“ für das Bundesland stammt aus dem Jahr 1987, entsprechende Arbeitspapiere stammen aus den Jahren 1989 und 1994. Auch die in Bayern gültige “Richtlinie zur AIDS-Prävention an bayerischen Schulen des Kultusministeriums” stammt aus dem Jahr 1989 und ist damit bereits 30 Jahre alt.
Infografik Nr. 5: Sexualbildung an deutschen Schulen – Bewertung der formellen Aspekte in den Bundesländern. Quelle: Fernarzt.com